Alexandra Schantl: Zur Eröffnung der Ausstellung „Kurt Welther – Dialog mit Alten Meistern“, St. Peter an der Sperr, 27.03.2008
Ich möchte meine Gedanken zu dieser Ausstellung gerne mit einem Zitat von Julian Schutting einleiten. Und zwar schreibt er in einem Text zu den Arbeiten von Kurt Welther:
„… ein Künstler ist einer, der sich nicht scheut, den Großen anderer Epochen seine Reverenz zu erweisen, indem er auf der Höhe seiner Zeit und unangekränkelt von sogenannten ‚Zeitgeistigen’ […] mit ihnen in Konkurrenz tritt, auch zur Weitung seiner Möglichkeiten …“
Mit „unangekränkelt von sogenannten ‚Zeitgeistigen’“ meint Schutting „frei von dem, was zur jeweiligen Zeit unter denen grassiert, die nie zu einem Individualstil finden werden“.
Kurt Welther freilich ist ein Künstler, der einen ganz persönlichen, unverwechselbaren Stil, eben einen Individualstil, gefunden hat. Er ist ein Maler mit Leib und Seele, der die Kunstgeschichte nicht als Ballast empfindet, sondern – ganz im Gegenteil – den Dialog, die intensive Auseinandersetzung, mit Alten Meistern als fruchtbar für seine eigene künstlerische Arbeit erlebt.
Mit dem Zitieren Alter Meister knüpft Kurt Welther an eine lange kunsthistorische Tradition an. Sogar unter den Alten Meistern selbst war es nämlich durchaus Usus, das eine oder andere von Kollegen abzuschauen oder von eigenen Werken, die bei den Kunden besonders gut ankamen, verschiedene Versionen anzufertigen. Auch von der Werkstatt ausgeführte Kopien waren üblich. In der Kunstgeschichte gibt es dafür eine umfangreiche Terminologie, die beispielsweise zwischen „schöpferischen Kopien“, Paraphrasen, Hommagen etc. unterscheidet, so dass Generationen von Wissenschaftern mit Forschungsproblemen verschiedenster Art konfrontiert sind. Aber auch in der jüngeren Kunstgeschichte finden sich zahlreiche Beispiele bedeutender Maler, die sich an sich an ihren ebenso berühmten Vorgängern orientiert haben. Von Vincent van Gogh etwa wird behauptet, dass er mehr als 500 Kopien von alten Gemälden angefertigt hat und zwar deshalb, um sich damit wie im althergebrachten Akademieunterricht einer strengen Schulung zu unterwerfen. Demgegenüber wollten Künstler wie Picasso oder René Magritte sich in selbstbewusster Meisterschaft anhand der großen Vorbilder erproben und sie mit aktuellem Sinn beladen.[1]
Und diese Tradition setzt sich über die Vertreter der Pop-Art wie z. B. Roy Lichtenstein oder Andy Warhol fort bis in die 80er-Jahre des 20. Jahrhunderts, als unter dem Motto „anything goes“ der Stilmix und das Zitieren verschiedenster Epochen quer durch alle Kunstsparten – von der Architektur, über die bildende Kunst bis zur Literatur – eine neue Blühe erlebten und als Postmoderne gefeiert wurden.
Den Beweggrund für diesen teils spielerischen, teils ironischen Umgang mit der älteren Malerei hat Umberto Eco in der Nachschrift zu seinem Roman „Im Namen der Rose“ mit folgenden Worten zusammengefasst:
„Es kommt jedoch der Moment, da die Avantgarde (also die Moderne) nicht mehr weitergehen kann, weil sie inzwischen eine Metasprache hervorgebracht hat, die von ihren unmöglichen Texten spricht (die Concept Art). Die postmoderne Antwort auf die Moderne besteht in der Einsicht und Anerkennung, dass die Vergangenheit, nachdem sie nun einmal nicht zerstört werden kann, da ihre Zerstörung zum Schweigen führt, auf neue Weise ins Auge gefasst werden muss: mit Ironie ohne Unschuld“.[2]
Eine andere Motivation für eine rückschauende Auseinandersetzung war und ist, dass die aus der Kunstgeschichte entlehnten Sujets den Vorteil des schon Bekannten und Festgelegten haben.[3]
Die Tradition des Zitierens Alter Meister ist letztlich aber auch eng mit der Geschichte der Fotografie verknüpft. Denn durch die fotografische Reproduzierbarkeit kam zum einen die Aura des Kunstwerks als einmalige Schöpfung ins Wanken, zum anderen fanden aber gerade dadurch weltberühmte Meisterwerke massenhafte Verbreitung, so dass sie fortan quasi für jedermann zugänglich waren. Von Anfang an gab es daher nicht nur eine Konkurrenzsituation zwischen Malerei und Fotografie, sondern auch eine für beide Medien positive Wechselwirkung, die bis in die Gegenwart ausstrahlt. So griff die Fotografie im Bemühen um ihre Anerkennung als Kunst ganz bewusst auf die Kompositionsprinzipien und Stilmittel der Malerei zurück wie umgekehrt – und zwar mit wesentlich größerer Selbstverständlichkeit – von jeher Maler nach Fotos und Reproduktionen arbeiteten. – Francis Bacon etwa hat trotz seiner Bessenheit von Velázquez’ „Portrait des Papstes Innozenz X“, von dem er zahlreiche Versionen malte, das Original erklärtermaßen nie gesehen.
Und doch scheint gerade in unserem „virtuellen“ Zeitalter der Hunger nach Meisterwerken unersättlich zu sein. – Ausstellungen, für die berühmte Werke aus aller Welt zusammengetragen werden, sorgen für Besucherrekorde in Museen und spektakuläre Kunstdiebstähle für Schlagzeilen in der Presse. Wobei andererseits – im Zuge der Kitschindustrie und der Instrumentalisierung durch Werbung und Massenmedien – der Begriff des „Meisterwerks“ fast schon zu einer Allerweltskategorie geworden ist – wenn auch mit einem hohen Identifikationsfaktor.
Diesen Identifikationsfaktor erzielt auch Kurt Welther, wenn er die Werke großer Meister – von Tizian über Rubens bis Klimt – mit einem für seine Arbeitsweise charakteristischen Vokabular übersetzt und in eine andere Zeit transferiert. Indem er sich in seinen Übersetzungen kräftiger Farben bedient und als Kompositionselemente vorwiegend alltägliche Zeichen und Symbole (Zahlen, Euro-Zeichen, das Batman-Logo usw.) wählt, verleiht er ihnen eine aktuelle Allgemeingültigkeit, die den Betrachter unmittelbar anspricht. Dazu kommt, dass der Künstler immer wieder sehr gekonnt die Balance findet zwischen abstrahierter und realistischer Darstellungsweise, so dass er den Betrachter letztendlich fast vergessen lässt, dass er es hier mit klassischen biblischen oder mythologischen Themen zu tun hat. Das Besondere an Welthers Arbeitsweise ist darüber hinaus, dass die malerische Geste eigentlich sehr zurückgenommen ist. Man findet in seinen Bildern nur wenige gemalte Flächen, da nämlich die malerische Struktur hauptsächlich mit Malerwalzen erzeugt wird, die üblicherweise zum Ausmalen von Wohnräumen und zur Vortäuschung bestimmter Oberflächenstrukturen (z.B. Holzmaserung, Marmor etc.) verwendet werden. Auch Schablonen kommen zum Einsatz, wodurch seinen Werken zugleich auch ein serieller und grafischer Charakter zuteil wird. Mit dieser Mechanisierung des Malvorganges und zwar ganz im Sinne der Pop-Art geht – wie es Peter Zawrel einmal formuliert hat – schließlich die Auslöschung jeden Anscheines einer Aura des Bildgegenstandes Hand in Hand. Das mindert jedoch nicht im Geringsten die Suggestivkraft dieser Bilder und schon gar nicht die Schaulust des Betrachters. Sie laden vielmehr dazu ein, immer wieder neue Facetten zu entdecken und liefern der Phantasie Stoff für unendliche Geschichten.
Alexandra Schantl
[1] Vgl. Axel und Christa Murken: „Von der Avantgarde bis zur Postmoderne. Die Malerei des 20. Jahrhunderts“, München 1991, S. 318
[2] Ebd.
[3] Vgl. ebd., S. 318 f.