Elmar Zorn: Kurt Welthers fröhliche Verfremdungen
Malerei auf Leinwand, in diesem ausgehenden Jahrhundert reichlich in Frage gestellt, geschmäht und erledigt (Duchamp und Dada), ist auch immer wieder neu entdeckt worden, indem ihre Möglichkeiten der Trägerfläche erweitert wurde: ob durch Lucio Fontanas Schnitte, ob durch Anselm Kiefers pflanzliche und erdige Reliefe auf der Leinwand oder durch Helmut Schobers gleißende Energieentladungen der Graphitsplitter. So sind aus der Oberfläche Tiefen erwachsen, die noch unverbrauchte Fantasieträume öffnen.
Auch Kurt Welthers Malerei sucht der Oberfläche neue Spannungen abzugewinnen, mit einer freilich eigenen Methode: Er legt über die Abbildungen seiner Welterfahrung, über die Realitätspartikel wechselnde Muster, vergleichbar mit Sigmar Polkes Collagetechnik, wenn auch ohne dessen ironischen Zugriff.
Der blühende Holla-Busch, die gedeckte Tafel des gemeinsamen Mahls, die entkleideten Mädchen und Frauen in familiärer Umgebung sind überlagert von komplementären Mustern, aufgetragen mit der Malerwalze. Das raffiniert-fröhliche Farben- und Formspiel mit Blüten, Objekten und Aktdarstellungen und den dazu passenden Tapeten- und Schriftornamenten versiegelt die Oberfläche und verhindert den leichten Zugang des Auges. Die Blüten, die Essens- und Früchtestilleben, die Körper sind der unmittelbaren Betrachtung entzogen durch die überlagernden Muster. Keine Chance also für die Liebhaber von Kitschdarstellungen der Natur, für innig empfindende Stillebenfreunde oder für den voyeuristischen Genuss häuslicher Freikörperkultur. Dieser distanzierende Filter, den Welther konsequent und in unerschöpflicher Breite der Variationen der Muster gestaltet, löst in der Wahrnehmung einen paradoxen Effekt aus. Er holt uns die Gegenstände und Körper näher heran, macht sie für uns intensiv, wo wir mit dem unverstellten Blick über sie hinweg oder durch sie hindurch blicken würden. Denn wer würde noch Darstellungen von Blüten, Früchten oder Frauenakten sonderlich bemerken in der Flut von Bildern, die uns solche Farben, Formen und Körpermerkmale schon millionenfach vorgeführt haben. Motive und Situationen seiner Welt, dem Strom vorüberziehender Bilder mittels der Malerei entrissen, bringt er uns näher durch die neue Aufmerksamkeit, zu der wir von Welther so kunstvoll überlistet wurden. Diese Näherung ist in der bunten und abwechslungsreichen Gestaltung eine zugleich fröhliche und, wie ja jede Annäherung- eine erotische.
So gelingt es Welther, da wieder Erotik der Anschauung herzustellen, wo sie unser Wahrnehmungsvermögen längst nicht mehr erreicht hat, und uns teilhaben zu lassen an der primären Erfahrung seiner Wunschwelt, die eine der sinnlichen Genüsse ist. Die „Erinnerung“ an den blühenden Holla-Busch etwa im gleichnamig titulierten Gemälde auf schwarzem Stoff ist die Herstellung einer Fläche, die durch gestaffelte Rahmung zur Bühne für den Aufruf und den Auftritt einer solchen Erinnerung beim Betrachten des Bildes wird.
Mögliche ikonographische Abwehrhaltungen gegen diesen Appel, sich zu erinnern bzw. das der Erinnerung Entrissene, Gemeinsame von Betrachter und Künstler als ein Fest der Formen und Farben zu genießen, sind außer Kraft gesetzt durch den beschriebenen Verfremdungseffekt der Überlagerung mit den aufgewalzten Mustern. Gewiss wird es Betrachter geben, die sich vor Welthers listigen Inszenierungen nicht geschlagen geben und sich nicht auf seine Bilderfindungen einlassen wollen. Mit einer solchen Reaktion ist bei der exponierten Arbeitsweise Welthers zu rechnen. Nur sollte ein Verdikt in der Palette möglicher Missverständnisse seiner Kunst nicht greifen können: Seine Malerei ist eben nicht „oberflächlich“ im Gegenteil: Wenige Künstler haben im Kunstgeschehen der Gegenwart die Oberfläche des Tafelbildes, die Leinwand, das Tuch so sehr wie Welther rehabilitiert und wieder spannend gemacht für zukünftige Malerei.