Julian Schutting: Zu Kurt Welthers Essens- und Vaterbildern

Am 15.September 2005 trete ich zur Abenddämmerstunde in die aparte ´Galerie am Karmelitermarkt`, II. Wiener Gemeindebezirk, und mein Blick trifft auf ein nicht in der Schusslinie meiner Augen befindliches Ölbild – und zu dem zieht mein Blick mich hin. Und zu dem werde ich an diesem Abend noch viele Male treten, um stets von neuem seine Suggestivkraft zu erfahren und mir, um nicht vor deren Sog zu kapitulieren, über deren Charakter schlüssig zu werden (dass der Maler Kurt Welther heißt, ist fürs erste nebensächlich) –

Vor der Schmalseite eines längeren Tisches stehe ich, an dessen anderem Ende ein dunkel Gekleideter sitzt; hat ähnlich gekleidete Gestalten zu seiner Rechten und Linken. Der Sessel aber, auf dem einer mit mir zugekehrtem Rücken sitzen könnte, ist leer, aber zur Linken des an dieser Stelle gleichfalls leer belassenen Essensplatzes steht ein Glas Rotwein- die kompositorische Überlegung des Künstlers wüsste ich vermutlich in seinem Sinn zu begründen, aber als ein Rezipient darf ich im Namen der Vieldeutigkeit der Kunst bei meiner ersten Assoziation bleiben, und sollte den Künstler mein nachhaltiger Eindruck befremden, als thematisch ihm ferner als fern Gelegenes: die nicht in düsteres, sondern in feierliches Schwarz gekleidete Tischgesellschaft sei an demjenigen hohen Festtag der strenggläubigen Juden zusammengekommen, an welchem beim Abendmahl ein Sessel freigehalten wird für den Propheten Elias und dem, damit er ja doch spürbar zu Gast ist, ein Glas Rotwein voll geschenkt dargeboten wird- steht! Und es darf mir auch in dieser Abendgesellschaft dank ihrer mystischen Aura Bild werden was? die Zusammenkunft der Jünger in Emmaus: wie beim letzten Abendmahl sitzen sie noch einmal beisammen, werden den sogleich zugekehrten Gespenster Jesus in dem Moment erkennen, wo er am Tischende Platz genommen hat und mit stigmatisierter Hand nach dem Glas Wein greift…

An diesem ´Elias- Bild`, dessen Gegenstand ein Abend mit Freunden des Künstlers war, hat es mir aber auch eines angetan gehabt auf einen Blick: die Meisterung einer ungewöhnlichen Perspektive (halbe Draufsicht bei Streckung des Tisches weit nach hinten) und die Genugtuung, dass in dieser Technik etwas von der Genialität eines Francis Bacon nachlebt, der in seiner Singularität vor dem bewahrt worden ist, was ansonsten ´Bacon- Schule` hieße…

Zur Linken dieses schmalen Längsformates, an der im rechten Winkel anstoßenden breiten Wand, ein recht anderes ´Essensbild`, ein sinnliches, wie es sich für das Thema gehört; dem Sonnenlicht ist es in seiner Farbigkeit verpflichtet – erwähnt sei nur, was dessen Erwerberin gesagt hat: die Qualität des ganzen manifestiere sich für sie beispielsweise in einem Detail: sie habe noch nie zuvor ein dünnwandiges Glas so altmeisterlich gemalt gesehen, und hätt es zur Zeit der renaissance- und Barock- Maler so zartes glas noch nicht gegeben….

Sei wie dem sei – die Originalität eines Kurt Welther drückt sich unter anderem in den Bildern dieses Genres aus: sind sowohl Gruppenbilder als auch Stillleben, ob da nun im Genuss der Sinnesfreuden an einem guten Essen an einem Tisch oder auf dem Boden beisammen gegessen wird. Oder wäre aus der malerischen Behandlung der Figuren und Gegenstände nicht herauszulesen, wie eigenständig ihm eines glückt: die Balance zwischen Wirklichkeitsnähe und Distanzierung von Naturalistischem, mittels malerisch gebotener Abstrahierung des lebenden oder unbelebten Materials? Horcht wohl hin auf das, was ihm mehr noch sein Stilwille abverlangt!

Am 16. September in seinem Haus respektive in seinem Atelier einen Lokalaugenschein vorzunehmen –und sehe mich im Eintreten von einer großformatigen Hommage an Tintoretto bestätigt : ein Künstler ist einer, der sich nicht scheut , den Großen anderer Epochen seine Reverenz zu erwiesen, indemer auf der Höhe seiner Zeit und unangekränkelt von sogenannten „Zeitgeistigen“ (= frei von dem, was zur jeweiligen Zeit unter denen grassiert, die nie zu einem Individualstil finden werden) mit ihnen in Konkurenz tritt, auch zur Weitung seiner Möglichkeiten…

So gut wie gar nichts möchte ich sagen zu der Serie seiner „Vaterbilder“, zu denen ihn ja wohl sein liebevolles Vaterbild inspiriert hat; also der Wunsch, einen alten Mann, nach einem Schlaganfall der Sprache weitgehend verlustig geraten, zum Dank für dessen späte Aussöhnung mit seinem künstlerischen Werdegang mit bunten Abbildungen in Kostümierungen aufsuheitern, daß der im Rollstuhl Modell gesessen zu sein vergäße: dessen letztlich trübzelige Befindlichkeit darf ihren Ausdruck finden, so schonungsvoll wie möglich, und für uns Betrachter zählt doch nur eines : wie perfekt jeder Strich sitzt!

Julian Schutting