Teresa del Conde: EINFÜHRUNG

Personen, die sich in Mexiko für Kunstgeschichte interessieren, haben die Werke der deutschsprachigen Symbolisten der Schweiz, Deutschlands und Österreichs genau analysiert und daran Gefallen gefunden. Man verehrt Arnold Böcklin, Max Klinger und vor allem Gustav Klimt und seinen Lieblingsschüler, der vorzeitig starb und der erst kürzlich im Museum of Modern Art, New York, geehrt wurde. Ich meine natürlich Egon Schiele. Kokoschka, der ein langes und mühevolles Leben hatte, gilt als Schlüsselfigur des Expressionismus. Die österreichischen Phantastischen Realisten wurden ebenso genau studiert, aber von den Künstlern der Nachkriegszeit weiß man nur wenig und noch weniger von denen, die in den fünfziger Jahren geboren sind.

Die Wahl Kurt Welthers für eine individuelle Ausstellung in diesem Museum war teilweise zufällig, teilweise aber auch nicht. Mit Zufall meine ich die Tatsache, dass er sich eine Zeitlang in Mexiko aufhielt, wo er in der Hauptstadt verweilte und Reisen ins Landesinnere unternahm. Er wurde mir von Dr. Julian Friedrich vorgestellt, der bis zum vergangenen Jahr Kulturattachee der Österreichischen Botschaft in Mexiko war.

Kurt Weither zeigte mir eigene Originalarbeiten und eine illustrierte, sehr komplette Beschreibung seiner Laufbahn. Ich hatte keinen Zweifel, dass seine künstlerische Präsenz in Mexiko Interesse erwecken würde. Ein Kunstkritiker, sei er nun Museumsdirektor, Galerist etc., muss in solchen und ähnlichen Fällen als Vermittler auftreten. Ich dachte: Wenn mich das, was ich vom Werk des Malers Weither gesehen habe, begeistert, ist es gut möglich, dass es anderen Personen ähnlich ergeht, insbesondere deshalb, weil seine Arbeiten nichts mit denen europäischer Künstler gemeinsam haben, die zum Mainstream gezählt werden, oder den. Konzeptualisten, deren Werke wir in Mexiko City und anderen Städten der Republik bereits sehen konnten. An den Arbeiten, die ich gesehen habe, fiel mir besonders auf, wie losgelöst von symbolistischen Zügen wie auch von im Phantastischen wurzelnden Gestaltungselementen er arbeitet, die ja verschiedene österreichische Künstler vergangener Generationen einsetzten. Ich möchte klarstellen, dass mich solche Stilmittel auch (und zwar in hohem Maße) interessieren, aber dass der Bruch, der bei Kurt Weither diesbezüglich auftritt, von einem anderen Zeitbegriff kündet, speziell auch von einer anderen Art Vermittlung der «Fassaden», durch die das Leben eines Malers, der in der Provinz lebt, läuft, der sich damit beschäftigt, sich zu erinnern, ein plastisches Zeugnis von dem zu hinterlassen, was ihm nahe ist, wobei er sich der Stilmittel und Ausdruckstechniken bedient, die seine berufliche Tätigkeit ausmachen. Er hat sich mit graphischem Design auseinandergesetzt und besitzt außerdem eine solide künstlerische Ausbildung, die er vor allem an der Wiener Kunstakademie erworben hat.

Ohne die Absicht zu etikettieren oder seine bevorzugten künstlerischen Ausdrucksformen zu definieren, könnte man doch sagen, es handelt sich um einen neofigurativen Künstler mit photographischen Bezügen.· Dabei vermeidet er stets den Illusionismus, d. h. «Trompe l‘ oeil»-Effekte, traditionelle Perspektive, Hell-Dunkel-Spiele, die Betonung des Realismus aus naturalistischer Wurzel heraus, ohne dass dadurch die «Wirklichkeit» seiner Szenen gemindert wird, die visuelle Aspekte von Personen, Innenräumen und Szenerien darstellen.

Höchste Aufmerksamkeit wendet er der von ihm eingesetzten Ikonographie zu: Aspekte des Alltäglichen, die er in seiner Umgebung beobachtet, überträgt er in seine Malerei. Diese Dinge ordnet er zu thematischen Gruppen – wie etwa Situationen, deren Zeuge er war, sei es die musikalische Aufführung eines Bläserquartetts, der Geburtstag eines neunzigjährigen Mitbürgers, dem zu Ehren ein Fest veranstaltet wurde, eine Gruppe Pensionisten oder alles, was den Akt einer Weinverkostung begleitet. Seine Stilleben sind ungewöhnlich, manche sind von oben gesehen, als hätte eine Filmkamera gerade jenen Moment aufgenommen, in dem die Hände der Tischgenossen die letzten Bewegungen vollführen, um ein opulentes Mahl zu beenden. Eine andere Abteilung behandelt weibliche Akte, die in das Muster eines Brokats oder eines Teppichs «eingewebt» scheinen. Eines davon parodiert in komischer Form das schöne und anziehende Bild der Helene Fourment («Das Pelzchen») von Rubens, ein Hauptwerk in der Entwicklung des flämischen Künstlers. Ohne sich über den Maler lustig zu machen, aber doch mit einem gewissen Sarkasmus, verwandelt Welther die Helene in eine Mayaprinzessin. Diese Akte können eine oder mehrere Figuren darstellen, es handelt sich aber immer um weibliche Personen.

Eine Serie widmet sich den Handlungen, Gesten und Gewohnheiten seines Vaters, eine andere den Tieren (vor allem Schweinen) und einige weitere Landschaften, Bäumen oder Blumen. Immer gibt es ein Spiel zwischen Form und Inhalt, das den Kompositionen einen gewissen Humor und manchmal auch eine Dosis Sarkasmus verleiht. Häufig verwendet er Worte, manche davon Wortspiele, die nicht Botschaften, sondern friedliche Gedanken vermitteln. Die «Typographie», die er verwendet, ist gleichzeitig plastisches Element. Da ich ihn in seinem Atelier in Berndorf, nahe bei Wien, nicht besuchen konnte, nützte ich den langen Aufenthalt des Malers Francisco Castro Leñero (Professor an der Escuela Nocional de Artes Plásticas der UNAM) in einer österreichischen Stadt, wo er eingeladen war zu malen und im Anschluss daran seine Werke zusammen mit Künstlern anderer Länder auszustellen, und bat ihn, Weither zu besuchen. Noch seiner Rückkehr bat ich ihn, mir seine Eindrücke zu übermitteln. Der Bericht, den er mir gab, enthält sehr klare Feststellungen zu den von ihm begutachteten Werken:

«Man könnte sagen, dass seine Arbeiten mit „trockener Farbe“ gefertigt werden … die farbigen Flächen entstehen durch Sättigung mit ornamentalen Elementen, wobei mit Rollen gedruckte Motive verwendet werden, die er selbst herstellt, in der Art von Tapetenpapier, wodurch es zu kontinuierlichen Wechselwirkungen zwischen den wiederholten Zeichen und den entstandenen Bildern kommt. Häufig bedient er sich auch der Umrisslinie, um die Grenzen einer Form zu definieren, wodurch seine Werke einen stark graphischen Charakter erhalten … Es war ein Vergnügen und gleichzeitig eine reiche Erfahrung, Kurt Welther in seinem Atelier zu treffen.» So wurde meine eigene Erfahrung dessen, was ich während des Besuchs Kurt Welthers in Mexiko sehen und ahnen konnte, durch den Blick, die Sensibilität und das Wissen eines der angesehensten Kunsttheoretiker unseres Landes bestätigt.

Teresa del Conde, Museo de Arte Moderno