Tihamér Novotny: Piroschka in der Küche

Berichten von Zeitgenossen zufolge waren im Atelier Gustav Klimts,mit 1903 beginnend,stets zwei bis drei unbekleidete Modelle anzutreffen.Die Mädchen durften sich im Raum frei bewegen und waren sich selbst überlassen,wodurch der Künstler die Möglichkeit hatte,von spontanen Bewegungen und ungezwungenen Gesten rasch Skizzen anzufertigen,die später in seinen allegorisch-symbolischen Kompositionen Verwendung finden sollten.
Schon aus ökonomischen Gründen könnte Kurt Welther dieser Praxis nicht folgen,doch wahrscheinlich würde er auch sonst nicht zu solchen Mitteln greifen,denn es erweist sich als wesentlich interessanter und frivoler,ja es grenzt an eine amüsante,ironische Geste,jemanden in seine „Privat-Szene“ zu folgen,nachdem man ihn gebeten hat,im eigenen Zuhause Modell zu stehen,und ist es doch ein kulturanthropologisches Manöver,mit Hilfe solcher List Einblick in das intime Ambiente der privaten Sphäre zu gewinnen.ImFalle dieser beiden Künstler ist die zeitliche Distanz und die Interessendifferenz enorm,sowohl bezüglich der kulturhistorischen Motivation als auch aus der Sicht des Endergebnisses.
Selbst über den Akt befasste sich Klimt nämlich mit den immerwährenden Daseinsfragen:wozu sind wir auf dieser Welt,was ist uns wahres Glück.Bei Welther scheint man zwischen Umwelt und Akt irgendein entblößendes Gleichheitszeichen setzen zu können,denn keines erweist sich als stärkeres visuelles Prinzip als alles andere,weil im objektiven Gewebe des Werkes der Akt par exellence eine Wandlung zum Bildhaften erfährt.Somit ist es nicht die Umgebung,die sich der Psyche –so eine vorhanden-des Aktes anpaßt,sondern umgekehrt:der entrümpelte,nackte Körper übernimmt die Rolle eines Einrichtungsgegenstandes.
Der in der österreichischen Kunst als Ausdruckmittel stets so wichtige menschliche Körper wandelte sich von jeher unter dem Einfluß der aktuellen Zeitstimmung,des dargestellten sozialen Umfeldes oder von inneren seelischen Spannungen.
„Seit Nietzsche ist das Erbe der Antike nicht mehr Hüter des klassischen Schönheitskanons,der ausgeglichenen Harmonie, sondern Träger der janusköpfigen,der in der Irrationalität und in Mythen fortlebenden urtümlichen Instinktwelt.“(2)
Die Künstler der Wiener Sezession entdeckten sich Freud und über seine Lehren die Furcht einflößende Kraft der in den Tiefen der Seele verborgenen Instinkte.Ihre Werke bringen eine Neuformulierung der präraffaelistischen Bildtopoi; die „femmes fatalos“ und die „femmes fragiles“ treten auf,die Schicksal,Erotik,weibliches Prinzip und eine Vorahnung auf frühen Tod ausstrahlen.
Für die Expressionisten (Schiele,Kokoschka,Gerstl,Schönberg) existierte kaum ein wichtigeres Thema als das körperliche Elend und die seelische Bürde.Der menchliche Körper wurde Ausdruck für existenzielle Grundprobleme.Die Expressionisten vertieften sich in die schonungslose Analyse der eigenen Persönlichkeit und der unmittelbaren,engeren Umgebung.Ihre Bilder vermittelten nicht Weltkatastrophen,sondern inneres Leid.Über ihre Akte und Figuren wollten sie hinter die Erscheinung unserer Weltblicken,und hinter der Farben,Lichtern,Formen und Stimmen suchten sie nach tieferen geistig-spirituellen Zusammenhängen,nach verborgenen Beziehungen.
Im neuen österreichischen Expressionismus der 80er Jahre wiederum erlebte die künstlerische Aufarbeitung des Körperlichen eine sonderbare Metamorphose:mit dem Ausdruck „künstlerische Verdichtung des Körpers“ kann man nur annähernd das Gemeinsame in den Körper-Visionen einer Lassnig-in den zerfließenden, existenztragenden Körpern eines Anzinger,in den Farbmassen-Konzentrationen eines Brandl,in den Monumenten eines West oder in den Materialballungen eines Wurm vterdeutlichen.Und doch ,die Figur und ihre Abkömmlinge: die Säule,der Turm,der zerschnittene Körper sind seit einem Jahrzehnt die zentrale Frage der künstlerischen Selbsterforschung.(3)Auch Schmalix verwendet spezifische Mittel der „Verdichtung“,in dem er isolierte Figuren in ein System von Ebenen setzt und dadurch Monumentalität erzielt.
Die Besichtigung der von Welther geschaffenen Akt-Serie führt zur Überzeugung ,dass durch ihn die neue künstlerische Attitüde der 90er Jahre formuliert wird-eine Betrachtungsweise,wo die romantiklose Postmoderne mit einem relativen Provinzialismus einhergeht.Bei dieser Sachlage scheint es sinnlos geworden zu sein ,einen Unterschied zwischen weltbürgerlichen und regionalen Situationen zu suchen,so sehr wird unser Leben schon von einem uniformen Partikularismus und von der über Massenkommunikationskanäle vermittelten Spaltung in Mini-Kulturen beherrscht.Jene beabsichtigten,quasi erotischen Voyer-Situationen nämlich,deren simpler ,wenn auch findiger Schöpfer der Künstler selbst ist,und durch die er sich bildliches Rohmaterial verschafft,sind so banal und vulgär,in einem solchen Maße ereignißlos,dass sie –zumindest in der europäischen Kultur-in jeder beliebig ähnlichen Situation weitestgehend verallgemeinert werden können.
Die Problematik dieser Gemälde besteht nämlich gerade in der physisch –psychischen Problemlosigkeit:die weibliche Figur in solch uninteressanten Posen darzustellen,dass sie nach Möglichkeit frei von jedweder Belastung,Spannung und Dramatik ist.Die Nacktheit dieser entblößten weiblichen Erscheinungen ist lediglich eine dekorative ,gleichgültige,simple,von großen Leidenschaften freie,alltägliche Nacktheit.Die freiwilligen Darstellerinnen dieser antitheatralischen Situationen wollen sich vor der Linse der Polaroidkamera zwar artikulieren,doch selbst in ihrem Rollenspiel können sie nur das darstellen,was sie in Wirklichkeit sind.
Welther terrorisiert sie nicht,bringt sich nicht in irritierende Situationen,denn ihn interessieren nicht Beschaffenheit und Intensität der menschlichen Leidenschaften ,sondern allein das zu schaffende Bild.Aus der Sicht der Abstraktion und der vizuellen Eigengesetzlichkeit ist der Qualitätsgrad der auf dem Bild erzielten Gegenständlichkeit um vieles wichtiger als das Ereignis,als das Geschehen selbst.Auf diesen Bildern gigbt es gar kein Geschehen mehr,vielmehr etwas, was außerhalb von Geschichte liegt! Eine der Eigenheiten dieser Bilder liegt darin,dass die Aktfiguren fast durchwegs in frontaler Ansicht dargestellt werden,wodurch die Ereignislosigkeit eine noch größere Betonung erfährt.Die für Welther so bezeichnende herbe gesellschaftskritische Schärfe und groteske Ironie werden diesmal in den Hintergrund gedrängt;wesentlich wichtiger erscheint der bildliche Selbstzweck,die auf Pomp verzichtende Dekorativität und die vizuelle Willkür,die eine natürliche Begleiterscheinung einer Zeitstimmung des ausgehenden Jahrhunderts ist.Die Metageschehnisse werden zu reduzierten ,raffinierten Bildbehelfen,und die bescheidenen inhaltlichen Faktoren unterwerfen sich dem sanften Joch formaler Gesichtspunkte und stellen ein verfremdetes,jedoch vollkommenes ,ja hochgradiges Zeichensystem dar.Um dieses Ziel zu erreichen ,schlagen zum Beispiel die Farbenwerte einzelner Aufnahmen in die Negativqualität um,das heißt aus dem Grün wird rot,und aus der roten Farbe Grün,wie es Bildkomposition und Farbenwelt gerade erfordern.
Es fiel noch kein Wort über das technische Verfahren und das Requisitensystem,mit denen diesen Körpern die wahre Erotik ausgetrieben wird,wodurch die Modelle von ihrer Fleisch-Blut-Beschaffenheit befreit werden und ihre Individualität zu einem Ursache und Wirkung reflektierenden Zeichensystem degradiert.Schon im kunstlosen Polaroidfoto wird die Live-Situation sich selbst entfremdet.Die Modelle werden kaum motiviert.Welther überläßt es dem spontanen Geschehen,welche Posen es hergibt ;er inszeniert nicht ,wählt bloß aus und läßt auswählen.So stellt er sicher ,dass der bescheidene Ausdruck seiner Modelle unverfälscht ins Bild kommt.Dann ist es eine Selbstverständlichkeit für ihn ,das gegenständliche Umfeld der Vorlagen unangetastet zu belassen,keinen Tausch vorzunehmen und nie einen fremden Gegendtand hinzuzufügen.Einem Privat-Ethnologen gleich beläßt er am Untersuchungsgegenstand alles unverändet,ehe er im fortschreitenden Malprozeß eine Umdeutung der zwetrangig gewordenen individuellen Wirklichkeit in die Wirklichkeit des Bildhaften bewirkt.
Hierbei schwingt die scharfe,exakte lineare Umrißgestaltung von Figuren,Raum und Gegenständen zusammen mit unscharfen,oft übergreifenden,reichen,malerisch zugleich aber synthetisch wirkenden Farbfeldern.Diese entstehen durch oftmaligen,netzwerkartigen Farbauftrag mit eigens vom Künstlerentwickelten Strukurwalzen.Dazwischen walzt Welther auch banale ,dem soliden,alten Malerhandwerk entlehnte Dekormuster,die mit ihrem unverhüllt unechten Anspruch,in ihrer Wiederholung die „Persönlichkeit“ seiner Modelle typenspezifisch unterstützen.
Eine offenbar.erwünschte Nebenwirkung dieser Auftragsmethode ist,dass Expressives vermieden und die in der Moderne als Erkennungsmerkmal geschätzte „künstlerische Handschrift“,der Malduktus,verdrängt wird zugunsten einer eleganten,“flimmernden“,von Bild zu Bilde wechselnden Textur.
Auf den konsequentesten Gemälden von Welther stehen Figur,Raum und die gegenständlichen Elemente des Umfeldes in einer so völlig beigeordneten Beziehung zueineinder,als von würden sie das digitale Zeichensystem eines speziellen Monitors darstellen.Zugleich vibrieren die eine Art Wärme ,von Persönlichem ausstrahlenden Gegenstände gleich einer schier lästigen „Bildstörung“ und verursachen auf dem vielfach Videowirkung erzielenden „Bildschirm“ eine ungewohnte Spannung.Diese Bilder sind fast schon jenen informationstheoretischen und philosophischen Ansichten verwandt,die uns zum Beispiel von Elias Canetti oder Jans Baudrillard vermittelt werden:“Eine Quälende Annahme:ab einem gewissen Zeitpunkt ist die Geschichte nicht mehr Wirklichkeit.Ohne es zu merken,war plözlich die ganze Menschheit der Wirklichkeit entschlüpft…“
„Der Vertreibungszwang,das Gebot der totalen Zirkulation und Kommunikation setzt heute jedes einzelne Faktum und Ereignis frei –atomisiert sie,die dann im unendlichen All ihre Bahn ziehen… Zudem muss sich jede historische und kulturelle Einheit spalten,um Zutritt zur Zirkulation zu bekommen:jede Sprache muss in einer Reihe binärer Weisungen,Nullen und Einsern aufgehen,um hinfort nicht mehr im menschlichen ,sondern im vibrierenden elektronischen Gedächnis der Maschine zu zirkulieren.“(5)
Kurt Welther tut also nichts anderes,als die irgendwie grotesk und entfremdet gewordene Stimmung eines ünmöglich gewordenen gesellschaftlichen Gefühls zu malen.Welther scheint sich den eine seelische Belastung darstellenden österreichischenMaltraditionen entgegenzustellen,interessiert sich für die von einem Roy Lichtenstein,von einem Tom Wesselmann vertretenen Bild-Topoi,forscht nach dem Erbe des französischen Matisse.Mit seinem kultivierten und geschliffenen Aufstand schafft er einen neuen Stil,der in seinen dekorativen Wirkungen fallweise auch aus Stilelementen der österreichischen Sezession schöpft und mit ihnen baut.

Tihamér Novotny
Ferenczy Museum Szentendre

Anmerkungen:
1.Sármány Ilona,Gustav Klimt,Corvina,1089 S 82
2.Sármány Ilona,Die Wiener Malkunst zur Jahrhundertwende,Corvina,1991,S.10
3.Matthias Boeckl:Verdichtungen/die Kunst der 80-er Jahre.In:Land in Sicht/Österreichische Kunst des
20.Jahrhunderts.Mücsarnok,Budapest,1989-04-18-05-28 Katalog
4.Jean Baudrillard zitiert Elias Canetti.In:Es wird kein 2000 geben.1991/12
5.Zitiertes Werk.